Sonderpädagogischer Förderbedarf im Lernen an allgemeinbildenden Schulen
Grundsätze für den Unterricht
Die Broschüre "Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Lernen an allgemeinbildenden Schulen - Grundsätze für den Unterricht" können Sie als PDF-Datei (0,3 MB) herunterladen.
Inhaltsverzeichnis:
- Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Lernen
- Lehrpläne als Grundlage für individuelle Lernpläne
- Kompetenzentwicklung durch multiprofessionelle Teams
- Anforderungen an eine zieldifferente Unterrichtsgestaltung
- Lebenswelt- und Berufsorientierung
- Leistungsbewertung
Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Lernen
In jeder Lerngruppe haben Schülerinnen und Schüler unterschiedliche Voraussetzungen, um curriculare Anforderungen zu bewältigen (z. B. Kenntnisse, Lernstrategien, Arbeitsverhalten, Lernmotivation). Die pädagogischen Fachkräfte reagieren darauf mit binnendifferenzierenden Maßnahmen und individuellen Unterstützungsangeboten, um den Schülerinnen und Schülern zu helfen, ungünstige Lernvoraussetzungen auszugleichen und die curricularen Ziele zu erreichen. Gegebenenfalls ist es notwendig, die Bedingungen des Lernens mit Hilfe organisatorischer Maßnahmen zu verbessern. Dazu gehören u. a. Formen des Nachteilsausgleichs, zeitweilige Modifizierungen von Lernanforderungen und die Nutzung der Möglichkeit verlängerter Lernzeiten (z. B. drittes Verweiljahr in der Schuleingangsphase, freiwillige Verlängerung der Schulzeit um ein Jahr).
Können Schülerinnen und Schüler bei längerer Förderung und zeitweiliger Modifizierung den curricularen Anforderungen nicht entsprechen, ist über eine zieldifferente (untercurriculare) Förderung zu entscheiden. Eine zieldifferente Förderung kann sich auf einzelne Fächer bzw. Lernbereiche beziehen und bedeutet, dass an die Schülerinnen und Schüler in diesen Fächern bzw. Lernbereichen untercurriculare Anforderungen gestellt werden. Ziel der langfristig gestalteten untercurricularen Förderung ist die schrittweise Befähigung zur Bewältigung der curricularen Vorgaben. Im Einzelfall können dauerhaft untercurriculare Anforderungen bestehen bleiben.
Prüfsteine zur Fortsetzung untercurricularer Förderung sind insbesondere die Kompetenzanforderungen der Lehrpläne zum Übertritt in
- den Schuljahrgang 3 bei dreijähriger Verweildauer in der Schuleingangsphase,
- die weiterführende Schule nach Schuljahrgang 4 bei Wahrnehmung einer Wiederholung,
- den Schuljahrgang 7 (hauptschulabschlussbezogener Unterricht).
sonderpädagogischer Förderbedarf im Lernen1 | Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Lernen erhalten in ausgewählten oder allen Lernbereichen sonderpädagogische Bildungs-, Beratungs- und Unterstützungsangebote gemäß ihrer individuellen Leistungsfähigkeit am jeweiligen Lernort. Diese Schülerinnen und Schüler entwickeln bei längerfristiger Förderung ihre Leistungsfähigkeit nach individuellen Lernplänen mit untercurricularen Anforderungen erfolgreich. |
1 Aus Gründen der Lesbarkeit wird diese Begrifflichkeit verwendet. Entsprechend der KMK-Empfehlungen wird damit zugleich der systemische Ansatz des sonderpädagogischen Bildungs-, Beratungs- und Unterstützungsbedarfs mitgedacht. (KMK: Inklusive Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in Schulen. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 20.10.2011)
Lehrpläne als Grundlage für individuelle Lernpläne
Grundsatzbände | Grundlage für die Gestaltung des Schullebens und des Unterrichts sind entsprechend der besuchten Schulform die Grundsatzbände der Grundschule, Sekundarschule bzw. Gemeinschaftsschule. |
Fachlehrpläne | Die in den Fachlehrplänen der jeweils besuchten Schulform (Primarstufe, Sekundarstufe I) ausgewiesenen Kompetenzen sind die Basis für die individuelle Förderung mit dem Ziel, einen anerkannten Schulabschluss zu erreichen. |
Schulinterne Planung | Die vorliegenden schulformübergreifenden Grundsätze konkretisieren die Anforderungen an die Bildungsarbeit mit Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Lernen. Die Hinweise sollen in der schulinternen Planungsarbeit sowie bei der Gestaltung des Schullebens und des Unterrichts entsprechend berücksichtigt werden. Die Heterogenität der Schülerschaft muss auf allen Ebenen der schulinternen Planung Beachtung finden. Auf Schulebene wird im Schulprogramm dem inklusiven Gedanken entsprochen. Dieser wird in der schulinternen Planung auf Fachebene und auf der Ebene der Schuljahrgänge konkretisiert. Das beinhaltet schulintern abgestimmte, geeignete didaktisch-methodische Vorgehensweisen und Unterrichtskonzepte. Schulinterne Planungen weisen Differenzierungsangebote aus, gewährleisten Anschlussfähigkeit sowie Durchlässigkeit hinsichtlich der Bildungsgänge und respektieren die individuellen Lernleistungsmöglichkeiten. Sie werden in Kooperation aller am pädagogischen Prozess Beteiligten entwickelt. |
Die Festlegungen der schulinternen Planung finden auch bei der Entwicklung und Umsetzung individueller Lernpläne Berücksichtigung. Ein individueller Lernplan legt die Ziele für die individuelle Kompetenzentwicklung fest. Bei Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Lernen liegen diese in ausgewählten Fächern oder Lernbereichen unterhalb der curricularen Vorgaben. Der individuelle Lernplan basiert auf den bisher erstellten Lerndokumentationen und schließt Angebote zur Förderung ein. Maßgeblich dafür ist eine pädagogische Diagnostik, die die Lernausgangslage, die Kind-Umfeld-Situation und die individuelle Kompetenzentwicklung nachvollziehbar darstellt. Die Umsetzung der individuellen Lernpläne ist so vorzunehmen, dass Lernen i.d.R. am gemeinsamen Gegenstand und in gemeinsamen Lernsituationen erfolgt. Individuelle Lernpläne mit untercurricularen Lernzielen sind regelmäßig zu evaluieren und an die individuelle Leistungsentwicklung anzupassen. In multiprofessioneller Zusammenarbeit unter Einbeziehung der Schülerinnen und Schüler sowie deren Eltern ist stetig zu prüfen, ob curriculare Anforderungen wieder bewältigt werden können. Es sind alle Möglichkeiten zu nutzen, um die Schülerinnen und Schüler zu einem anerkannten Schulabschluss zu führen. Der Hauptschulabschluss setzt voraus, dass im Abschlussjahrgang nach curricularen Anforderungen unterrichtet wird. |
2 In der Literatur wird der individuelle Lernplan auch als Individualplan oder individueller Entwicklungsplan bezeichnet.
Kompetenzentwicklung durch multiprofessionelle Teams
Teamarbeit im System Schule | Arbeiten im multiprofessionellen Team ermöglicht das Nutzen vielfältiger Kompetenzen zur Entwicklung einer inklusiven Schulkultur. Dazu gehören eine prozessimmanente Reflexion und Qualifizierung des professionellen Handelns ebenso wie der Kompetenztransfer zwischen den Lehrkräften und anderen an der schulischen Arbeit Beteiligten. |
Teamarbeit im Unterricht | Individuelle Förderung in heterogenen Lerngruppen erfordert eine hohe didaktische Kreativität aller Beteiligten. Die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Professionen sowie die gegenseitige Akzeptanz und Wertschätzung dieser führen innerhalb des Teams zu Synergieeffekten, die die pädagogische Arbeit stärken. Wichtig für das erfolgreiche Handeln im Team sind eine offene Kommunikation und verbindliche Ziele für die gemeinsame pädagogische Arbeit. Dabei sollte sich ein Konsens über einen entwicklungsorientierten Lernbegriff und favorisierte Unterrichtskonzepte entwickeln. Wesentlich für das Gelingen sind pädagogisch Verantwortliche, die Heterogenität wertschätzen und die gemeinsam Verantwortung für den Unterricht der gesamten Lerngruppe übernehmen. Im Rahmen der Planung des Unterrichts sollen Lerneinheiten gemeinsam konzipiert und gegebenenfalls arbeitsteilig vorbereitet werden. Hierbei sind differenzierte Lernangebote für die Schülerinnen und Schüler zu schaffen, so dass jeder entsprechend seiner individuellen Lernvoraussetzungen am Unterricht teilhaben kann. Binnendifferenzierter Unterricht sollte einen gemeinsamen Gegenstand haben, an dem Schülerinnen und Schüler entsprechend ihres jeweiligen Entwicklungsstandes miteinander lernen. Es ist aber auch möglich, dass eine innere Differenzierung an unterschiedlichen Lerngegenständen in gemeinsamen Lernsituationen vorgenommen wird. Diese individualisierten und gemeinsamen Lernsituationen in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen, ist eine gemeinschaftliche pädagogische Aufgabe. Die Vor- und Nachbereitung des Unterrichts erfordert feste Teamzeiten. |
Kooperation aller am Lernprozess Beteiligten | Lehrkräfte der allgemeinen Schulen und der Förderschulen sind in heterogenen Lerngruppen gemeinsam verantwortlich für:
Die konkreten Aufgaben sind von den jeweils Beteiligten auszuhandeln. |
Anforderungen an eine zieldifferente Unterrichtsgestaltung
Unterrichtsorganisation | Zieldifferenter Unterricht erfordert geeignete Formen der Unterrichtsorganisation, die den unterschiedlichen Bedarfslagen untercurricularer Förderung gerecht werden. Günstige Rahmenbedingungen bieten u. a. kooperative Lernformen, Projektlernen, jahrgangsübergreifendes Lernen, Rhythmisierung des Schulalltags sowie fächerübergreifender und fächerverbindender Unterricht. |
Handlungsorientiertes und ganzheitliches Lernen | Zieldifferenter Unterricht sollte vom selbstbestimmten Handeln der Lernenden geprägt sein. Die Schülerinnen und Schüler erwerben Kompetenzen in konkreten und für sie lebensrelevanten Situationen. Sie sollen in herausfordernden, angemessenen und praxisbezogenen Lernprozessen Methoden des Entdeckens und Experimentierens anwenden sowie Ergebnisse darstellen und präsentieren. Bei der Gestaltung der Lernsituation muss die Balance zwischen pädagogischer Führung und Selbstständigkeit der Schülerinnen und Schüler, d. h. zwischen strukturiertem, angeleitetem Vorgehen und eigenständigem, probierendem Problemlösen gefunden werden. In entwicklungsfördernden Lernsituationen werden Kognition, Kommunikation, Wahrnehmung, Motorik, Sozialverhalten, Lern- und Arbeitsverhalten und Emotionalität berücksichtigt. Die handelnde Durchdringung von Bildungsinhalten wird durch vielfältige Sinneserfahrungen angeregt. Dies unterstützt die Kompetenzentwicklung von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Lernen besonders. Dabei ist es wichtig, dem individuellen Lerntyp der Schülerinnen und Schüler zu entsprechen. |
Soziales Lernen | Soziale Kompetenzen haben im zieldifferenten Unterricht einen hohen Stellenwert. In einem respektvollen, solidarischen Miteinander bekommen alle Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit, soziale Erfahrungen im Umgang miteinander zu sammeln und ihre Selbstkompetenz zu entwickeln. Grundlage sind klare Regeln, individuelle und gemeinsame Verhaltensvereinbarungen. Verhaltensweisen wie Rücksichtnahme, Einfühlungsvermögen, Toleranz und die Fähigkeit, Konflikte zu verarbeiten und angemessen zu lösen, werden nachhaltig erlernt. Ein zeitnahes Feedback der Pädagoginnen und Pädagogen sowie der Lerngruppe geben den Schülerinnen und Schülern Bestätigung und Orientierung. |
Lernatmosphäre | Insbesondere Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Lernen entfalten ihre Leistungspotentiale in Gruppen mit einer hohen Lernmotivation und einer insgesamt anerkennenden Lernatmosphäre. Diese ist geprägt von gegenseitiger Akzeptanz und Toleranz gegenüber Verschiedenheit. Wertschätzender Umgang miteinander, verlässliche soziale Beziehungen und Vorbilder in einer stabilen Lerngruppe sind dafür Voraussetzung. Durch umfangreiche Übungen, Festigungen und Anwendungen entwickeln zieldifferent unterrichtete Schülerinnen und Schüler ihre Kompetenzen in langfristig angelegten Lernprozessen. Dazu gehören auch Phasen des Innehaltens und Reflektierens des Gelernten. |
Lebenswelt- und Berufsorientierung
Lebensweltorientiertes Lernen | Die Bewältigung des Alltags ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem selbstbestimmten Leben und gesellschaftlicher Teilhabe. Alle Schülerinnen und Schüler bereiten sich auf die zunehmend komplexer werdenden Herausforderungen des Alltags vor. Dabei werden Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Lernen durch Beratung und Ermutigung unterstützt. Dazu bietet die Schule u. a. durch die Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern vielfältige Möglichkeiten:
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Berufsorientiertes Lernen | Für Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Lernen ist ab dem 7. Schulbesuchsjahr eine kompetenzorientierte, praxisnahe Berufsorientierung und Berufswahlvorbereitung von besonderer Bedeutung. Innerhalb der Schulbesuchszeit ist sicherzustellen, dass Betriebspraktika und Praxistage im angemessenen Umfang absolviert werden. Durch produktive Praxis sollen erworbene Kompetenzen angewendet werden und nachhaltige Lernmotivationen entstehen. Konkrete Berufsfelderkundungen und aktive Berufsfelderprobungen geben wichtige Einblicke in die regionale Berufswelt, tragen maßgeblich zum Orientierungs- und Berufsfindungsprozess bei und werden in der Schule fächerübergreifend vor- und nachbereitet. Eine kontinuierliche Kooperation mit ortsansässigen Betrieben und anderen Institutionen ist wichtig für einen erfolgreichen Übergang von der Schule in berufsbildende Maßnahmen oder in die berufliche Ausbildung. Die Schülerinnen und Schüler arbeiten mit Kompetenzportfolios oder Berufswahlpässen, die ihre berufsbezogenen Kompetenzen ausweisen. |
Leistungsbewertung
Lernstandsanalyse und Dokumentation | Regelmäßige, individuelle Lernstandsanalysen sind Grundlage für die Gestaltung von Lern- und Entwicklungsprozessen. Der Lernstand ist beispielsweise in Lernentwicklungsberichten, Rückmeldegesprächen, Portfolios, Lerntagebüchern oder Schulnoten zu dokumentieren. |
Individuelle Leistungsbewertung | Leistungsbewertung dient auch bei zieldifferent unterrichteten Schülerinnen und Schülern der Dokumentation individueller Lernfortschritte und des jeweils erreichten Leistungs- und Entwicklungsstandes. Die Leistungsbewertung erfolgt prozess- und ergebnisorientiert. Sie hat wertschätzende, ermutigende sowie stärkende Funktion und ist für alle Beteiligten nachvollziehbar zu gestalten. Gelten für ausgewählte Fächer oder Lernbereiche individuelle Lernpläne unterhalb der curricularen Vorgaben, bezieht sich die Leistungsbewertung auf die darin festgelegten Ziele. Wird im Abschlussjahrgang nach untercurricularen Anforderungen unterrichtet, endet die Schullaufbahn ohne anerkannten Schulabschluss. |
Nachteilsausgleich | Bei zielgleichem Lernen ist Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf, Behinderungen oder festgestellten Beeinträchtigungen entsprechend des Gleichbehandlungsgebotes ein Nachteilsausgleich zu gewähren. Die Schule fasst in eigener pädagogischer Verantwortung Beschlüsse
Leistungsanforderungen und Leistungsbewertung den individuellen Lernvoraussetzungen angepasst werden. Mit Nachteilsausgleich erbrachte Leistungen sind grundsätzlich gleichwertige Leistungen. Nachteilsausgleich ermöglicht die Leistungserbringung entsprechend der curricularen Anforderungen. Eine zeitweise Modifizierung curricularer Anforderungen bzw. der Maßstäbe der Leistungsbewertung soll bei angemessener Förderung einen Lernanschluss und zielgleiche Lernentwicklung bewirken. |